Das versunkene Dorf

Als Kind haben mich zwei Dinge bei Fahrten Richtung Österreich besonders fasziniert. Das Niemandsland im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Österreich und in Stauseen versunkene Dörfer.

Heute weiß ich natürlich, daß es das Niemandsland nie gab. Es war einfach so, dass bei ein paar Grenzübergängen das österreichische Grenzhäuschen nicht gleich direkt hinter dem bayerischen kam, sondern zum Teil einige hundert Meter   (vielleicht sogar Kilometer?) danach. Das Gebiet dazwischen, war nicht wie in meiner Fantasie, geheimnisvoller rechtsfreier Raum, sondern war je nach Grenzverlauf einem Land zugehörig. Aber als Kind war ich der festen Überzeugung, dass Deutschland bei der Grenzkontrolle und dem zugehörigen Häuschen endet.

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Der trocken gefallene Sylvensteinsee bei herrlichen Wetter

Die andere Legende, die mich faszinierte war, dass in jedem Stausee ein kleines Dorf oder Städtchen überspült wurde. Bei Niedrigwasser kann man dann den Kirchturm sehen und bei ganz viel Niedrigwasser und Gewitter kann man die unheimlichen Glockenschläge der versunkenen Kirche hören.

Leider wurde auch diese letzte Kindheitsfantasie letztes Wochenende jäh zerstört. Wegen Wartungsarbeiten wurde der Sylvensteinstausee abgelassen. Zum Vorschein kamen die Überreste des Dorfes Fall.

Wikipedia weiß dazu:

Als 1954 die Bauarbeiten für den Sylvensteinspeicher begannen, wurde das Dorf abgerissen und die Bevölkerung zwangsumgesiedelt, da ab 1959 das ganze Tal mitsamt dem Dorf geflutet werden sollte. 100 Meter weiter oben (südwestlich), an der Straße zwischen Lenggries und Vorderriß, wurde eine neue Siedlung gebaut und Neu-Fall genannt. Die Grundmauern von Alt-Fall (auch Altfall) sind nur nach langen Trockenperioden sichtbar.

Natürlich nutzte ich das herrliche Sommerwetter (OK es ist Winter, fühlt sich aber an wie Sommer) den trocken gefallenen Stausee zu besichtigen. Allerdings war ich natürlich nicht der Einzige. Ein mobiler Dönerstand hätte in den letzten Tagen auf der Brücke über den Sylvensteinstausee ein Vermögen verdienen können.

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Eine alte Auffahrtsrampe

Eine Überraschung war für mich, dass Alt-Fall, von Norden kommend, links, also östlich von der Brücke liegt. Auf der Brücke habe ich als Kind immer westlich nach dem Kirchturm Ausschau gehalten.

Vom Dorf sind nur noch Fundamente, ein paar Mauern und eine Auffahrt in den Heustadl übrig. An ein paar Stellen, zeigen Löcher an, dass es noch unterirdische Reste gibt. Ob das Keller sind, oder das versunkene ehemaliger Erdgeschoss kann ich nicht sagen.

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Überall findet man Spuren des unter gegangenen Dorfes Fall

Das ganze Gelände ist natürlich sehr verschlammt. Wer sich alles genau anschaut, sieht auch entsprechend aus. Bei meinem Sohn ist das Wasser von oben in die Gummistiefel gelaufen und meine Tochter hat einen Gummistiefel verloren und konnte nur mit Mühe aus einem Schlammloch befreit werden.

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Durch das Fenster hat lange Zeit niemand mehr geschaut

Als ich die Brücke nach oben kam, hat ein entgegenkommender Vater spontan seine Pläne geändert: “Ja wie schaut denn der aus, da geh ma net obi”.

Für Kirchturmromantiker gibt es dennoch einen Trost, im Wikipediabeitrag zu Fall heißt es weiter:

Dass dann auch die Kirchturmspitze der versunkenen Kapelle sichtbar wäre, ist ein Mythos, denn diese wurde vor der Flutung komplett abgerissen, anders als im Dorf Graun im Vinschgau, wo das ursprüngliche Dorf bei der Flutung des Reschensees unterging, der Kirchturm jedoch stehenblieb und im Stausee zu sehen ist.

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